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MIttwoch, 29. Juni 2017

It's the brand, stupid.
Die EU-Befürworter hatten die
Looser-Kommunikationsstrategie.

Drei Statements vorab.

ERSTENS. People never remember what you tell them. They always remember how you made them feel.

ZWEITENS.Wähler wählen nicht. Sie kaufen ein Versprechen mit ihrer Stimme.

DRITTENS. Nichts ist sicherer als die falsche Prognose von Marktforschungsinstituten.

 

Freiheit versus Abstieg.

Die Marke Brexit war die stärkere Marke mit der Winner-Kommunikationsstrategie.
Deshalb haben sich die Vorgestern-Nationalisten im Vereinigten Königreich bei dem Referendum über die Mitgliedschaft von Großbritannien in der Europäischen Union durchsetzen können.

Für 51,9 Prozent der britischen Wähler, welche für den den Austritt des Landes aus der Europäischen Union gestimmt haben,
waren zwei starke emotionale Versprechen stärker als all die kognitiven Appelle an die Vernunft seitens der EU-Befürworter:
Freedom and Great Britain.

Es war also nicht eine Gemengelage aus Populismus,  Angst, Tatsachenverdrehung und Realitätsverweigerung,
welche am Ende zum Brexit führte. Es waren vielmehr zwei Lebensgefühle: Frei-sein und Wieder-Herr-im-eigenen-Hause-sein.
Dieses Feeling war viel attraktiver für das menschliche Gehirn als die Prophezeiungen einer wirtschaftlichen Krise für Großbritannien.

Statt dass die prominenten Markenbotschafter der Marke EU attraktive Leistungsversprechen und positive Emotionen präsentierten,
haben sich die Brexit-Gegner von Anfang auf eine negative Stimmungsmache konzentriert,
indem sie Angst und Panik vor den Folgen eines Austritts verbreiteten.
Remain hatte als Key-Kommunikationsbotschaft eine Bestrafung: Abstieg.

Wenn man Menschen überzeugen möchte, muss man jedoch mit einer positiven Botschaft um sie werben.
Wir wissen aus der modernen Hirnforschung: Belohnungen aktivieren und mobilisieren den Mensch signifikant stärker
als die Warnung vor einer Bestrafung bzw. eines Verlustes.

Bei wettbewerbsorientierten Unternehmen und im Wettbewerb stehenden Institutionen ist das längst gelernt:
Um sein "Produkt" zu verkaufen, muss man eine positive Idee haben und die Positionierung der Marke emotional begreifbar und erfahrbar machen.
Die EU hat hier klar Nachholbedarf.

Es ist de facto eine Bankrotterklärung für die Marke EU, dass die Briten nicht aus Überzeugung all der positiven Gründe eines vereinten Europas für den Verbleib in der EU stimmen sollten, sondern aufgrund einer Angstkampagne.
Ohne Frage, die Europäische Union braucht jetzt dringend einen professionellen Markenrelaunch,
andernfalls droht über kurz oder lang der Verlust ihrer Existenzberechtigung.

Vergesst den Homo oeconomicus!

Menschen sind keine reinen Vernunftwesen.
Der Mensch ist in erster Linie emotional und intuitiv in seinem Verhalten und in seinen Entscheidungen.
Menschen suchen Sinn für ihr Leben und haben eine große Sehnsucht nach starken positiven Gefühlen wie Freiheit, Unabhängigkeit, Glück und Heimat.

Wir wollen das Positive hören, nicht das Negative. Das begeistert und motiviert uns mehr als das Vernünftige.
Vernünftiger ist sicherlich der Verbleib in der EU. Emotionaler war das Votum für Great Britain.
Für die eigene große Geschichte und Tradition. Für die eigene nationale Größe.

Seit 2002 (!), als der Psychologe Daniel Kahneman 2002 mit Vernon L. Smith als erster Nicht-Ökonom den Wirtschafts-Nobelpreis erhielt, wissen wir daher erstens, dass es darauf ankommt, ein Umfeld zu schaffen, das die persönliche Freiheit des Einzelnen gewährleistet.
Und zweitens, dass das Versprechen von Belohnungen für das menschliche Gehirn (Stichwort: das limbische System) viel attraktiver ist als Bestrafungs-Argumente wie "Wenn du nicht für die EU-Mitgliedschaft stimmst, wird es dir in Zukunft wirtschaftlich deutlich schlechter gehen."

Das Remain-Lager hat kläglich versagt, weil sie von Branding und Campaigning keine Ahnung haben.

Die EU hat nichts verstanden. Das Werben im Empire für ein Verbleiben in der Europäischen Union war eine große Chance,
deutlich zu machen, wofür die EU im Positiven steht.
Doch stattdessen hat sich das Remain-Lager in London wie in Brüssel auf Panikmache konzentriert.
Und am Ende damit den Brexit-Befürwortern in die Hände gespielt, welche eben die bessere Kommunikationsstrategie hatten.

Die EU-Gegner haben offensichtlich Kahnemanns Buch "Schnelles Denken, langsames Denken" gelesen und es auch verstanden
– und deshalb haben sie auch positive Botschaften wie Freiheit, Unabhängigkeit und Macht kommuniziert.
Sie haben den Menschen schlicht ein besseres Leben versprochen.

Politiker wie zum Beispiel der Noch-Premierminister David Cameron und der Präsident des Europäischen Parlamentes Martin Schulz haben sich hingegen bis dato offensichtlich nicht mit den Erkenntnissen der Modernen Hirnforschung beschäftigt,
denn sonst hätten sie sich für diese desaströse Kommunikationsstrategie der negativen Botschaften kaum entschieden.
Ob man dieses Vorgehen in solch einer zentralen Zukunftsfrage sowohl für GB als auch für die EU jetzt besser dilettantisch oder ignorant nennt, I don't know.

Interessant war übrigens, dass der von mir ansonsten geschätze Martin Schulz in einem TV-Interview im deutschen Fernsehen kurz nach Bekanntgabe des offiziellen Ergebnisses am Freitag morgen weiterhin gemäß der Looser-Kommuniationsstrategie argumentierte, die ja gerade ihre Untauglichkeit eindrucksvoll demonstriert hatte, und potentielle Nachahmer-Länder vor einem EU-Austritt mit der Warnung vor den wirtschaftlichen Folgen warnte - siehe Kursverfall des britischen Pfundes etc., so Martin Schulz.

Smarter wäre es meines Erachtens gewesen, die eigene Strategie angesichts dieses historischen Misserfolges zu reflektieren, denn: Fehler zu machen ist part of the game - einen Fehler ein zweites Mal zu begehen, sorry, das ist nicht clever.

Bei der Marke EU geht seit einiger Zeit alles schief, was schiefgehen kann.

Die Marke EU ist reif für eine „Grundsanierung".
Oder um es in der Sprache des Marketings zu sagen: Die EU braucht dringend einen Marken-Relaunch angesichts einer weit verbreiteten Anti-EU-Stimmung bzw. Müdigkeit gegenüber Europa.

Wir erleben seit Jahren die strategisch-konzeptionelle Unfähigkeit der EU-Institutionen und der EU-Verantwortlichen im Umgang mit der Marke Europäische Union.
Der Brexit kommt jetzt nun noch obendrauf und verstärkt das Gefühl, dass in Brüssel und Strassburg das Thema Markenführung unprofessionell gehandhabt wird.
Es wird quasi Anti-Branding bzw. Negativ-Branding gemacht. Die EU-Verantwortlichen haben das Thema Marke und Kommunikation nicht im Griff, denn sie waren und sind es nicht gewohnt, sich der öffentlichen Diskussion zu stellen.

Es fehlt aus Brüssel und Strassburg eine überzeugende Antwort auf folgende Leitfragen:
Für welche Werte und Versprechen soll die Marke EU in fünf oder zehn Jahren stehen?
Wie soll sich ein elektrisierendes EU-Lebensgefühl für die EU-Bürger im Süden, Norden, Westen und Osten anfühlen?
Das sind die kommunikativen Herausforderungen für die EU-Chefs.

Also, was Europa jetzt braucht ist eine europäische Grundsatzdebatte zur Marke EU hinsichtlich der großen wie kleinen Markenlinien - und was wir definitv nicht mehr brauchen, sind gebetsmühlenartig verkündete Markenbotschaften vom Friedens-, Freizügigkeits- und Wohlstandsprojekt, die ohne Vision und Drive und Spirit und Kreativität vorgetragen werden.

Wie lässt sich nun der Niedergang der EU-Marke aufhalten?

ERSTENS. Durch eine systematischen Markenarbeit im Geiste des "Wir-haben-verstanden".
Sprich: durch schonungslose Marken-Analyse, konzeptionelles Marken-Denken und entschlossenes Marken-Handeln.

ZWEITENS. Die Marke EU braucht MEHR Relevanz  durch Sinnstiftung (Stichwörter: Zielleitbild und Markenleitbild) und MEHR Attraktivität durch das Liefern von emotionalen Belohnungen.

DRITTENS. Die Marke EU muss einfacher im Sinne von smarter und regionaler werden.
So sollten, wo immer möglich, Kompetenzen und Entscheidungsprozesse von Brüssel und Straßburg weg und wieder zurück in die nationalen Parlamente verlagert werden. Die Marke EU ist heute zu kompliziert, zu bürokratisch, zu unemotional, zu wenig individuell - siehe zum Beispiel die sehr dogmatische EU-Harmonisierung: immer alles im Gleichschritt, immer alles zur selben Zeit.

Fazit: Europa hat nicht zu viele Gegner - es hat zu unemotionale Unterstützer und zu unprofessionelle Macher.

Die Marke EU braucht einen Relaunch. Dringend und sofort.
Sonst wird sie morgen nicht mehr "gekauft" und verschwindet aus dem Regal der europäischen Geschichte.
Die Marke EU muss positiv emotionalisiert werden. Mit positiven Gefühlen.

Im Moment hören wir aus Brüssel jedoch meist nur funktionale Nutzenversprechen von Markenbotschaftern ohne Sexappeal.
EU-Politiker verbreiten viel zu oft einen Look und Feel von Bürokraten. Wir brauchen stattdessen eine Marke EU,
welche für eine attraktive Zukunftsvision und für positive Werte wie Gerechtigkeit, Wohlstand und Sicherheit steht.
Und für Charme, Power und Drive. Nur so lassen sich die Köpfe und Herzen der Europäer zurück gewinnen.

Wenn die führenden europäischen Politiker jetzt innehalten, die Lage kritisch reflektieren und die richtigen Marken- und Kommunikations-Schlüsse aus dieser Krise ziehen, dann kann und wird die EU gestärkt aus dieser Situation hervorgehen.
Davon bin ich felsenfest überzeugt.