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Montag, 27. März 2017

BILANZ Kolumne.
Das Narrativ von Glück und Sinn einer Marke.

Wer eine starke Marke hat, kann alles verkaufen. Warum? Weil Marke gleich Vertrauen ist. Vertrauen in das Versprechen, Glück und Sinn zu konsumieren. Aber wo liegt der Sinn einer Marke?

Sinnhaftigkeit, da denken viele Menschen an Dinge wie: die Welt ein Stück weit besser machen, Leben retten, Kinder erziehen. Also eher altruistische Dinge, die für einen Mitmenschen oder eine Gemeinschaft einen Nutzen stiften. Wo ist aber der Sinn, wenn ich Bacardi trinke? Dann bin ich vielleicht nach dem zweiten Glas glücklich – aber gibt mir das auch Sinn?

Ich denke, ja. Denn Menschen sind einerseits Sinnsucher. Marken wiederum stiften andererseits grundsätzlich Orientierung – und das hilft uns als sinnsuchende Wesen, unseren Sinn in der Welt zu finden. Marken haben eine Identität mittels ihrer Werte, mit denen wir uns als Kunden identifizieren können. Und Identifikation schafft Sinn für uns. Marken wie Bacardi bilden zudem Werte- und/oder Lifestyle-Gemeinschaften, zu denen man sich qua Konsum zugehörig fühlt. Auch das stiftet Sinn, denn für das Gemeinschaftstier Mensch sind Gemeinschaften sinnstiftend.


Freiheit, Bequemlichkeit und Lust

Starke Marken versprechen den Menschen Freiheit oder Bequemlichkeit oder Lust, manchmal auch alles zusammen – und das unabhängig von dem Produkt, das diese jeweils im Sortiment haben. Sie versprechen das ultimative Glück und befreien uns gefühlt von der Diktatur der Unfreiheit, der Unbequemlichkeit und der Unlust. Starke Marken stehen also für ein Regelwerk der besonderen Lebendigkeit – und diese Grammatik stiftet Glück und Sinn!


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Marken produzieren also nicht nur Glück für ihre Verwender. Sie löschen vor allem den großen Durst des Menschen nach der Sinnhaftigkeit seines (Konsum-)Lebens. Marke gleich säkularer Sinn. Marken – das ist eine Welt der Geschichten und Träume. Es geht um (Konsum-)Wünsche, welche für die Menschen eine hohe Attraktivität haben. Es sind Geschichten, die von Wünschen und deren Erfüllung erzählen.


Produkt versus Marke

Einerseits gibt es Produkte im Marketing, andererseits gibt es Marken in der Kommunikation. Ein wichtiger Unterschied zwischen Produkt und Marke ist nun folgender: Produkte entstammen der Welt der Pläne und Effizienz. Marken entstammen der Welt der Träume und Geschichten.

Produkte, das ist also Forschung und Entwicklung, Einkauf, Produktion, Vertrieb und Controlling. Eben die Welt der Pläne und Effizienz. Es geht um das Lösen von Problemen. Es geht um Realität.

Marken hingegen sind weniger Realität, sondern Fiktion, Wahrnehmung und Emotion. Starke Marken „produzieren“ die Fiktion von Glück und Sinn beziehungsweise geben sie dem Konsumenten das Gefühl von Glück und Sinn. Vor allem aber, und dieser Punkt ist mir als Mann der Praxis sehr wichtig, schaffen starke Marken etwas, was es vorher so noch nicht gab.

Der „Me-too“-Ansatz ist daher ebensowenig aus dem Ideenkreis der Marke gedacht wie der immer wieder gern geäußerte Wunsch des Vertriebs nach einem Aktionspreis beziehungsweise einer Promotion zur Verkaufsförderung mit Gewinnspiel und Gratis-Kaffeemaschine.


Marken gestalten Leben

Marken sind sinnstiftend für unseren Alltag, weil sie eben nicht verramscht werden, sondern etwas Besonderes sind – und starke Marken sind es sogar über den Alltag hinaus. Denn es sind ihre Mythen und Geschichten, die uns packen und überraschen. Nach denen wir uns letztlich sehnen und die uns die Welt der Effizienz nicht gibt. Hier ist alles à la McKinsey durchrationalisiert.

Ein zweiter wichtiger Produkt-Marke-Unterschied: Produkte lösen Probleme. Zum Beispiel das Problem, dass ich nach alldem Denken jetzt Durst und Hunger habe. Oder dass ich später noch von A nach B will. Marken hingegen lösen keine Probleme. Marken gestalten unser Leben. Starke Marken sind daher die Baumeister unserer Kreativität. Unserer Träume. Unserer Sehnsüchte.


Kleines Gedankenexperiment

Denken Sie mal kurz an die Marken Bacardi, Harley-Davidson und Porsche. Diese und andere starke Marken geben vielen Menschen eine ganz bestimmte positive Empfindung. Diese Marken sind Glücksstifter und Sinnstifter.

Marken sind eine Universalmaschine zur Produktion von Glück und Sinn. So „produzieren“ Bacardi, Harley-Davidson und Porsche einen eigenständigen und hochattraktiven Cocktail. Einen Cocktail der Emotionen, der in unserem Fall für Erotik, Freiheit und Erfolg steht.

Marken ermöglichen uns also, individuelle Hedonisten dieser Welt zu sein. Eben Hedonisten der Erotik, der Freiheit, des Erfolgs und so weiter. Marken sind somit ein Weg zur Selbstverwirklichung und Selbstverortung. Durch Marken kann sich der Mensch bestimmen. Im Sinne von: Ich lebe mein (Wohlfühl-)Ding.

Aber Achtung! Nicht dass wir uns hier missverstehen. Marken sind nach meinem Verständnis zwar universelle, aber keine absoluten Glücks-Sinn-Maschinen. Marken geben uns wie gesagt vor allem Orientierung und Sicherheit sowie ein wenig Glück und Sinn über den Alltag hinaus – that's it!


Technik versus Marken

Technik macht uns zum Herrscher der Welt. Und diese Welt schenkt uns sehr viel (Produkt-)Effizienz. So verspricht sie uns ein Mehr an Zeit. Obwohl wir gefühlt immer weniger Zeit haben. Technik ist daher Fremdbestimmung, wenn man es radikal und konsequent zu Ende denkt. Technik – das ist: Man wird gelebt.

Starke Marken hingegen sind wie das Erleben eines wunderbaren Himmels. Ein Moment von spontaner Freude, Lebendigkeit und Tiefe. Marken sind übrigens sogar ein bisschen wie Kinder. Denn gerade Kinder sind die großen Sinnstifter unseres Lebens.

Marken sind jedoch im Gegensatz zu Kindern zwar öfter größere Glücksspender im Alltag, aber bei Weitem nicht so tiefe Sinnstifter wie Kinder. Kinder machen den Eltern öfter eher Ärger und Sorgen als Glück – das weiß jeder, der Kinder hat. Aber sie geben dem Dasein der Eltern einen sehr tiefen Sinn. Es ist der oft mühsame Akt der Erziehung, der tiefen Sinn schafft. Warum? Weil hinter Erziehung unsere Tüchtigkeit und Ausdauer zur Erreichung eines bestimmten Erziehungszieles steht. Und das schafft Sinn. Übrigens gilt das eins zu eins auch für Unternehmertum. Ein Unternehmen aufzubauen ist emotional vergleichbar mit der Liebe und Verantwortung für das eigene Kind.


Marken – ein emergentes Phänomen

Die Emergenz (lat. emergere: auftauchen, herauskommen, emporsteigen) ist die Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht – oder jedenfalls nicht offensichtlich – auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die diese isoliert aufweisen. So wird in der Philosophie des Geistes von einigen Philosophen die Meinung vertreten, dass Bewusstsein eine emergente Eigenschaft des Gehirns sei. Emergente Phänomene werden jedoch auch in der Physik, Chemie, Biologie, Psychologie oder Soziologie beschrieben.

Auch Marken sind nun mehr als die Summe ihrer Teile. Das durch Marken erzeugte Glück und der durch Marken erzeugte Sinn sind nicht das direkte Ergebnis der Teile Markenidentität, Markenimage, Markenemotionen, Markenerlebnisse, Markenwahrnehmungen und Markenkommunikation. Sie sind das Ergebnis eines kreativen Prozesses beziehungsweise einer kreativen Interaktion, in dem diese verschiedenen Teile zusammenkommen und ein Ganzes bilden, das neu und größer ist als die Summe seiner Teile.

Schauen wir uns kurz Kommunikation an. Bei der Kommunikation kommen Laute und Silben zusammen, und diese erzeugen eine Markengeschichte, die eine emotionale Wucht hat, welche nicht auf ihre Bestandteile zurückgeführt werden kann. Das ist Markenkommunikation beziehungsweise Werbung. So, wie sich Organismen nicht auf die Eigenschaften ihrer Gene reduzieren lassen, so sind Marken mehr als die Summe der an ihr beteiligten Strategie-, Design- und Kommunikationselemente.

Marken sind also mehr als Markenstrategie, Markendesign und Markenkommunikation. Marken sind Prozesse kollektiven Handelns, die sich teilweise selbst organisieren und teilweise von uns Markenexperten organisiert werden.


Grammatik der Marke

Was also ist nun die Grammatik der Marke? In einem Satz: Etwas von Glück und Sinn zur Welt zu bringen, was es vorher so nicht gab – und dieses Etwas lässt sich allein durch seine Einzelteile nicht vollständig beschreiben und verstehen.

Branding ist von seinem Wesen her deshalb eine schöpferische Tätigkeit beziehungsweise kreative Disziplin. Aus dem Grund habe ich auch den domizlaffschen Begriff der Markentechnik nie gemocht. Ich halte ihn für irreführend. Denn es geht bei Marken primär um Kreativität und Intuition – und erst dann um Technik und Handwerk. Marken lassen sich nach meiner Erfahrung weder planen noch „programmieren“ wie Produkte. Marken sind zu einem gewissen Grad etwas Unerwartetes und zutiefst Ganzheitliches. Marken entstehen und leben im Kopf und Bauch der Kunden. Wir haben Marken daher nicht vollständig in unserer strategisch-kreativen Hand.

Warum haben Marken nun diese Glücks-Kraft und Sinn-Macht? Weil Marken emotionale Bindungen aufbauen sowie identitäts- und gemeinschaftsbildend sind. Wer das verstanden hat, wer dieses kraftvolle Narrativ von Glück und Sinn klug zu kommunizieren weiß, der hat ein machtvolles Instrument in der Hand. Der hat den Schlüssel zum unternehmerischen Erfolg.

https://www.welt.de/wirtschaft/bilanz/article163051067/Das-Narrativ-von-Glueck-und-Sinn-einer-Marke.html

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