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MIttwoch, 08. März 2017

Die Marke und der Wandel der westlichen Gesellschaften.

Atomtod! Bildungskatastrophe! Siegeszug des Sozialismus! Waldsterben! Ende der Arbeitsgesellschaft! Energiewende! Demokratietod?
Mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika hat sich in den Medien die Diskussion folgender Frage noch mal dramatisch verschärft: Ist die freiheitlich-liberale Kultur des Westens dem Untergang geweiht?
Sprich: Ist die westliche Gesellschaft nur noch Werte-Humbug, trivial und voller systemischer Fehler? Sprich: Sind die Shopping Malls, unsere modernen Kathedralen des Markenkonsums, oder der seit nunmehr zehn Jahren andauernde Hype um die Smartphones ein charakteristisches Markenzeichen für die Werte-Dekadenz der westlichen Gesellschaften?

Zwei Dinge sind für mich klar und sicher

Erstens: Eine der größten Kulturleistungen der Moderne besteht darin, es dem Einzelnen möglich gemacht zu haben, sein Leben frei zu gestalten; und ihm somit ein breites Angebot von Lebensstilen und Lebensgefühlen zur Verfügung zu stellen. Wir tun daher gut daran, diese in Jahrhunderten von unseren Vorfahren hart erarbeitete Errungenschaft in den nächsten Jahren nicht leichtfertig über Bord zu werfen.
Zweitens: Ich glaube tief in mir – und damit im Gegensatz zu den immer lauter werdenden Zukunfts- und Kulturpessimisten, dass dieser gesellschaftliche Wandel im Westen am Ende für die Freiheit gut ausgehen wird. Denn dieser derzeit schleichende Zerfallsprozess unserer freien Welt in Richtung autoritäre Demokratie, dieser gesellschaftliche Stresstest kann und wird von der Mehrheit der Menschen am Ende aufgehalten werden. Aus Passivität wird sukzessive Aktivität.

Meine vier Thesen

Die heute nahezu globale Belohnungs- und Konsummentalität ist das Resultat einer wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte des Westens nach dem Zweiten Weltkrieg, die es in diesem Ausmaß zuvor noch nicht gab. Viele Menschen sehen Glück und Selbstverwirklichung durch Konsum als eine Art Grundrecht an. Wem es verwehrt wird, der fühlt sich um sein Geburtsrecht auf ein besseres Konsumleben betrogen. Lifestyle-Konsum als Menschenrecht?

Erste These

Es gibt heute zu viel ICH und zu wenig WIR. Die teilweise radikale Konsum-Mentalität ist eine Illusion auf Glück und eine der Ursachen für die gegenwärtige Bedrohung unser freiheitlich-liberalen Grundordnung, denn: Diese ICH-Mentalität des individuellen Konsums und Glücks erodiert die gesamtbürgerliche WIR-Verantwortung – und damit die berühmte res publica.
Die Menschen der westlichen Welt werden frei geboren, landen jedoch im Laufe ihres Lebens oftmals in den letztlich selbst angelegten Ketten einer Dauerunterhaltung durch Konsum. Menschen wie ich sind an dieser zum Teil exzessiven Konsumneigung vieler Menschen nicht ganz unschuldig, denn Marken und Werbung fördern diese Lust auf Konsum massiv. Aus Beruf wird daher erst Berufung, dann aber auch Verantwortung.

Zweite These

Immer mehr Menschen sehen unsere gesellschaftliche wie politische Freiheit heute als gegeben an – Freiheit verstehen und fühlen sie in erster Linie als die Freiheit, uneingeschränkt das konsumieren zu können, auf das sie gerade Lust haben. Eine überbordende Konsumlust, das wussten schon die alten Griechen, kann uns jedoch zu Sklaven unserer Leidenschaften, unserer Begierden machen. Oder modern formuliert: Sie kann uns zu Konsummaschinen machen.

Dritte These

Diese Konsum-Mentalität unserer Zeit trägt sicherlich eine gewisse Verantwortung dafür, dass etliche Bürger und Wähler heute darauf verzichten, sich politisch zu informieren. Beziehungsweise nur in Teilen bereit sind, sich für die eigenen liberalen Ansichten und die demokratische Ordnung im Sinne der res publica zu engagieren, das heißt für dessen Erhalt zu kämpfen. Es gibt daher trotz zahlreichem Ehrenamt und großem Flüchtlingsengagement eine Tendenz dahingehend, dass man sich oftmals zu sehr für die Selbstverbesserung und das eigene Konsumglück interessiert – und zu wenig für das Gemeinwohl.
Der Siegeszug des Mythos von der Selbstverbesserung, die zum wahren Selbst führt, begann übrigens bereits in den sechziger Jahren. Damals formierte sich, vor allem in Kalifornien, die sogenannte „Human Potential Movement”. Deren Anhänger behaupteten, das einzig wahre Lebensziel bestehe darin, sein inneres Potenzial vollständig zu verwirklichen. Sprich, wir sind zu viel mehr fähig und berechtigt. Übrigens, supererfolgreiche Unternehmer wie Steve Jobs und Elon Musk lebten bezieungsweise leben diese Idee konsequent – und die megaerfolgreiche Marke Apple steht ebenfalls für diese Idee.

Vierte These

Marken sind nicht nur eine wichtige Quelle des individuellen Glücks. Sie sind noch viel mehr: Marken sind die Glückssysteme unserer Zeit. Sie haben im Westen weitestgehend die Religionen und Ideologien als Glücks- und Trostsysteme ersetzt. Die Menschen des Westens suchen in der Regel keine Erlösung im Jenseits mehr, sondern die (Marken-)Belohnung im Diesseits.
Marken sind abstrakte Gedankengebäude mit einem bestimmten Feeling und Lifestyle, welche die Gesellschaften stark prägen. Diese Freiheit des Konsums können wir als Marken-Abenteuer jeden Tag aufs Neue erleben.

Komplexität – und eine Parallele

Die westlichen Gesellschaften sind zu überaus komplexen und globalen Gebilden angewachsen. Und diese Komplexität und Globalität überfordert offenbar derzeit manche Menschen. Sie sehnen sich in unserer heutigen Zeit einerseits noch stärker nach Einfachheit und Heimat, und andererseits sehnen sich nicht wenige Wähler offenbar nach starken Führungsfiguren.
Genau diese skizzierte Entwicklung ist nun auch charakeristisch für die Welt der Marken. Auch hier ist in den letzten Jahren die praktizierte Marketingkommunikation zu komplex für Sender wie Empfänger geworden. Auch hier haben viele Marken keine Heimat. Auch hier sind wenige Marken starke „Führungsfiguren”, weil sie statt auf Haltung und gelebte Werte meist auf Beliebigkeit und me too sowie Opportunität und kurzfristigen Erfolg setzen.
Diese gesellschaftliche Lücke beziehungsweise diese menschliche Sehnsucht ist nun eine Riesenchance für Marken. Marken, die wirklich „einfache” Kommunikation machen, die glaubwürdig für Heimat und durch klare Ansagen überzeugend für Leadership stehen, werden morgen die Gewinner sein.
Das tägliche Leben ist für viele Menschen zu einem Optimierungsprojekt durch Konsum geworden. Dieser Umstand ist eine große Chance für Marken. Sofern sie mehr strategische wie kreative Energie und Ressourcen in ihr Sendungsbewusstsein investieren. Sprich, wenn Marken sich glaubhaft zu einer großen „öffentlichen Sache” stilisieren. Denn die Sehnsucht nach einer res publica ist vorhanden, das zeigen die derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen im Westen ganz klar.

Schlusswort – das Beste kommt noch

Gesellschaft wie Marke – im Grunde ist alles nur eine Sache der emotionalen Konfiguration von Gemeinschaften, die aus Individuen bestehen. Dem Individuum als Teil einer einsamen Masse verspricht man, sei es als Politiker oder als Markenexperte, einerseits das ewige Lebensglück. Und andererseits – modern inszeniert – die Mitgliedschaft in einer erhabenen Heimat und heiligen Tradition. Die westlichen Gesellschaften suchen momentan nach Einfachheit sowie nach ihrem wahren Selbst, ihrer Identität, ihrer Heimat.
Diese gesellschaftliche Suche ist eine große Chance für Marken, noch relevanter und attraktiver für ihre Kunden zu werden – und so zum kollektiven Referenzpunkt für gewisse Werte, für eine bestimmte Heimat und für eine starke Haltung zu werden. Wer heute sein Profil in diesem Sinne schärft, kann sich damit schon morgen vom Wettbewerb erfolgreich differenzieren – und so zu einer Siegermarke werden.
Die Zukunft soll kommen. Wir besetzen die Zukunft wieder positiv. Wir machen aus der gegenwärtigen Unübersichtlichkeit eine neue Übersichtlichkeit. Und wir machen Marken zu einem Statement und zu einem Anker für Wertegemeinschaften. Let’s do it!

 

https://zappa.bilanz.de/leben/marke-und-der-wandel-der-westlichen-gesellschaften

https://www.welt.de/wirtschaft/bilanz/article162665419/Wie-Marken-zum-Anker-fuer-gemeinsame-Werte-werden.html

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